Dr. Thomas R. Henschel RSS-Feed http://www.trhenschel.de/ Dr. Thomas R. Henschel RSS-Feed en Dr. Thomas R. Henschel RSS-Feed http://www.trhenschel.de/typo3conf/ext/tt_news/ext_icon.gif http://www.trhenschel.de/ 18 16 Dr. Thomas R. Henschel RSS-Feed TYPO3 - get.content.right http://blogs.law.harvard.edu/tech/rss Tue, 01 Aug 2023 08:58:00 +0200 Viele Menschen wisssen gar nicht mehr, was das heißt: Miteinander in den Dialog treten. http://www.trhenschel.de/home-blog/lesen/artikel/viele-menschen-wisssen-gar-nicht-mehr-was-das-heisst-miteinander-in-den-dialog-treten.html

Viele Menschen wisssen gar nicht mehr, was das heißt: Miteinander in den Dialog treten.

Vom 07.-09.07.2023 haben wir mit einer überwältigenden Anzahl von Alumni, die in den letzten 15 Jahren eines unserer Stipendien für die Mediationsausbildung erhalten haben, ein großartiges Wiedersehen feiern dürfen. Wir konnten nicht nur ein abwechslungsreiches Programm bieten, sondern vor allem stand die Begegnung untereinander im Fokus.

Besonders berührend war der Moment, als eine der ersten Stipendiatinnen sich der Gruppe vorstellte. Oder die Erzählung einer heutigen Managerin in einem großen Konzern, die die Ausbildung bei uns als "lebensverändernd" bezeichnete und sehr viel Zustimmung und Beifall erhielt. Es hat uns allen deutlich gemacht, welch besonderer Ort die MAB ist und welche Möglichkeiten und Türen die Ausbildung in mediativen Kompetenzen gerade auch für junge Menschen bietet.

Euer zahlreiches Erscheinen und eure begeisterte Teilnahme haben uns tief berührt. Es war fantastisch, gemeinsam mit Euch nachzudenken, zu diskutieren und bei all den vielen verschiedenen Perspektiven die tiefe Verbundenheit zu spüren, die sich über die Jahre aufgebaut hat.

Eure Energie und Engagment war auch für uns vitalisierend. Es hat uns bestärkt in unseren Bemühungen nicht nachzulassen, gemeinschaftliches Engagement für einen konstruktiven Umgang mit Vielfalt, Differenzen und Konflikten für eine bessere Zukunft zu störken und zu fördern.

Gemeinsam haben wir in einem Welt-Café Format die uns beschäftigenden Fragen in Bezug auf die Rolle der Mediation und ihren Beitrag in der heutigen Welt diskutiert. Waren gemeinsam in der hervorragenden Ausstellung "O Quilombismo" im Haus der Kulturen der Welt und haben uns anregen lassen von alternativen demokratisch-egalitären politischen Philosophien aus der nicht-europäischer Welt. 

Das Treffen war inspirierend und bestärkend. Und es war intellkektuell und praktisch produktiv: Als ein Ergebnis des MAB-LAB haben wir einige der Gedanken zusammengefasst, die uns während unseres Treffens beschäftigt haben und weiter beschäftigen.

"Miteinander in den Dialog treten - Stärkung der Zivilgesellschaft als gemeinsame Aufgabe

Es gibt viele Versuche, das Unbehagen in der Demokratie zu erklären. Unabhängig davon, welcher Erklärung man zuneigt, scheint uns die besondere Betonung der individuellen Leistung in der westlich geprägten Kultur und Wirtschaft ein wesentlicher Faktor zu sein. Aus unserer Sicht übersieht diese Perspektive, wie sehr wir Menschen soziale Wesen sind, und jede:r auf das Miteinander aller angewiesen sind. Auch werden Zufällen, die unser Leben entscheidend bestimmen, wie Geburtsort und Teilhabechancen, hierbei nicht ausreichend berücksichtig. 

Die Folgen dieses Meritokratie-Paradigmas sind heute allgegenwärtig und zeigen sich in den multiplen Krisen unserer Zeit: Zunehmende Ungleichheit in der Verteilung von Ressourcen und Kapital, weltweite Migration, ungerechte Teilhabe an den Ressourcen unseres Planeten, strukturelle Diskriminierungen, Klimakrise, Kriege und Hungersnöte, der Aufstieg populistischer Bewegungen in den demokratischen Staaten - um nur einige zu nennen. Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass die psychischen Erkrankungen unter jungen Menschen in den westlichen Staaten erschreckend ansteigen. 

Der Zusammenbruch der Dialog- und Debattenkultur verstehen wir als weiteres Symptom und gleichzeitig auch verstärkenden Faktor für die Krisen. Unabhängig von Erklärungsversuchen erleben wir, dass sich die Menschen in unterschiedlichen Blasen gegenseitiger Bestärkung bewegen, bei gleichzeitiger Diffamierung von anderen Meinungen und Fakten, die nicht ins Weltbild passen. Weiterentwicklung lebt vom Dialog und der zivilen Auseinandersetzung. Dafür braucht es einerseits Kompetenzen, aber auch Strukturen, die in der Lage sind, Räume für gemeinsamen Austausch und konstruktive Auseinandersetzungen zu öffnen. Gleichzeitig erleben viele Menschen sich immer weniger in der Lage auf wichtige, sie betreffenden Dinge einen nennenswerten Einfluss  zu haben. Dieser, oft als Ohnmacht, erlebte Zustand drückt sich oft in Frustration, Resignation oder auch Wut aus. Damit entsteht eine höchst widersprächliche Situation: Zur Zeit müssen wir erleben, dass wir uns so schnell und vielfältig austauschen können, wie nie zuvor in der Geschichte der Menscheit und im Ergebnis vor einer völlig zerspaltenen Öffentlichkeit stehen. Einer Öffentlichkeit, die aufgrund eines Diktats der Geschwindigkeit schnell und oft vorschnell Meinungen zu Fakten erklärt und sodann andere Sichtweisen nicht mehr über die Wahrnehmungsschwelle kommen lässt. Diese systemische Maladaption schließt  Dialogräume und Menschen verlernen immer mehr, was das eigentlich heißt: in den Dialog treten.

Mit den Prinzipien der individuellen Leistungssteigerung und dem gleichzeitigem Verlust der dialogisch-zivilen Auseinandersetzung scheinen wir die Probleme nicht nur geschaffen zu haben, unter denen wir jetzt leiden, sondern wir verschlimmern sie auch immer noch. Es ist Zeit, anderen Ansätzen Raum zu geben. 

Die Krisen, die wir selbst geschaffen haben, können wir nur als eine Menschheit gemeinsam lösen. Es ist sinnlos komplexe, globale Probleme mittels analogen Denkens und Handelns lösen zu wollen. Für uns stellt sich in aller Radikalität die Frage, was ist uns als Gesellschaft ein gutes Miteinander wert? Was für Rahmenbedingungen sind wir bereit, dafür zur Verfügung zu stellen? Denn für uns ist wichtig, dass Miteinander eine Quelle der Inspiration, der Freude, des Austausches und des Genusses sein kann, aus dem Positives für alle entstehen kann.

Wie wir Differenzen, Unterschiede und Konflikte lösen, hängt davon ab, wie wir sie verstehen. Wir sehen enorme Potentiale in mediativen Kompetenzen für ein kooperatives und friedliches Miteinander – im privaten Umfeld genauso wie in der Nachbarschaft, in der Arbeitswelt und im Unternehmen genauso wie für gesellschaftliche und politische Diskurse und Entscheidungsfindungsprozesse. Um diese Potentiale zu nutzen und Vielfalt als Bereicherung zu erleben, reichen Apelle nicht aus. Menschen brauchen dafür nicht nur strukturelle Voraussetzungen, sondern auch ganz konkrete Kompetenzen und Fähigkeiten, die erlernt und entwickelt werden können. 

Mediative Kompetenzen umfassen für uns Dialog- und Konfliktfähigkeiten, die unterstützen, Vielfalt und Unterschiedlichkeit als Bereicherung zu erleben. Sie umfassen außerdem ausgeprägte Strukturierungskompetenzen und eine konsequente Ressourcenorientierung. Mediative Kompetenzen setzen auf einem Menschenbild auf, das davon ausgeht, dass Menschen eigenverantwortlich handeln, lern- und entwicklungsfähig sind und soziale Verantwortung übernehmen können. Die Entwicklung, die dazu geführt hat, dass wir im wesentlichen Konsumenten sind (und impliziet aufgefordert, unsere Konsumentenmacht zu nutzen, um ökonomisch-politische Veränderungen zu bewirken) und weniger Bürger:innen, die einen aktiven Part am Gemeinwesen haben, bedarf einer Korrektur. Die Zivilgesellschaft muss aktiv und gezielt gestärkt werden. Dazu bedarf es einer neuen politischen Ökonomie der Bürger:innengesellschaft.

Kooperation ist dabei der Schlüssel zum Erfolg und eine dauerhafte Aufgabe für alle Beteiligten. Mit mediativen Kompetenzen kann es in verschiedenen Kontexten gelingen, Kooperation auf Basis eines gemeinsamen Fundaments gegenseitigen Verstehens zu initiieren. So können die Stärken eines kooperativen Miteinanders genutzt werden.

Mediation stellt die Kompetenzen zur Verfügung, die ein anderes Miteinander möglich machen. Dafür braucht es strukturelle Veränderungen und eine politische Ökonomie, die Menschen nicht darauf beschränkt, Konsument:innen zu sein, sondern die die Voraussetzungen dafür schafft, dass wir alle auch Civil Citizen, Citoyens, Bürger:innen sind, die am Gemeinwohl orientiert partizipieren und sich einbringen können und wollen.

Die Praxiserfahrungen als Mediator:innen lassen uns erleben, welchen enormen positiven Nutzen mediative Kompetenzen stiften. Wir erfahren, dass damit bessere Zukünfte entstehen. Wir schaffen Räume, die Menschen ermöglichen ihre Ressourcen zu nutzen, um nachhaltige Lösungen zu schaffen, die von allen gelebt werden. Es stärkt uns, dass wir uns in unseren Bemühungen vereint wissen mit allen, die mediative Kompetenzen tagtäglich im verschiedensten Rollen, Formaten und Bereichen - Wirtschaft, Gesellschaft und Politik - einsetzen. 

Mediative Kompetenzen sind unverzichtbar, damit wir die für die demokratische Gesellschaften essentielle Dialog- und Auseinandersetzungskultur wieder beleben können. 

Als junge Mediator:innen wollen wir Verantwortung übernehmen, sowohl in der Arbeitswelt als auch mit Blick auf die multiplen globalen und lokalen Herausforderungen. Hierbei übernehmen wir bewusst auch Verantwortung für uns selbst. Wir wollen unsere Kompetenzen einsetzen, um ein neues Miteinander zu ermöglichen. Ein Miteinander, in dem die unterschiedlichen Perspektiven gehört und respektiert werden, braucht einen sicheren Rahmen und offene Räume, in denen es nicht um Dominanz und Gewinnen geht, sondern darum, dass das Ganze Mehr sein wird als die Summe seiner Teile. Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass Kooperation und Dialog hierfür der Schlüssel ist und dass wir mit unseren mediativen Kompetenzen hier einen wichtigen Beitrag leisten können und werden.

 

 

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Tue, 01 Aug 2023 08:58:00 +0200
Harvard Modell des Verhandelns einfach erklärt http://www.trhenschel.de/home-blog/lesen/artikel/harvard-modell-des-verhandelns-einfach-erklaert.html Vor einiger Zeit habe ich für das Erich Pommer Institut ein Video aufgenommen, in dem ich das...

Youtube Video 1.7 Mio Zuschauer

Das Harvard Modell des Verhandelns bildet einen wichtigen Eckstein für die Entwicklung der modernen Mediation. Ausgehend von der Erkenntnis, dass in Umgebungen mit begrenzten Ressourcen Kooperationsspiele den klassischen Wettbewerbsspielen überlegen sind, erkundet es die grundlegenden Prinzipien, die die Chancen für Kooperation erhöhen.

Kooperation ist eine zutieftst menschliche Eigenschaft. Ohne Kooperation sind wir nicht in der Lage zu existieren. Doch Kooperation stellt sich nicht einfach so her, sie ist das Ergebnis eines aktiven Interesses und eines Bemühens darum, den anderen, sich selbst und dem Kontext in dem man sich befindet zu verstehen.

Das Harvard Modell des Verhandelns identifiziert grundlegende Prinzipien, die ich in diesem Video vorstelle und erläutere:

Die Prinzipien des Harvard Modell des Verhandelns

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Fri, 14 Apr 2023 16:28:00 +0200
Auf einen Espresso http://www.trhenschel.de/home-blog/lesen/artikel/auf-einen-espresso.html Wie wir die 90er Jahre und ihre Chancen verschliefen und wie sich Mediation in die heutigen...

Auf einen Espresso

In den 90er Jahren waren wir optimistisch. Das weitgehend friedliche Ende des kalten Krieges suggerierte so manchem, dass die Menschheit sich jetzt auf die drängenden Fragen für ein gemeinsames Leben auf unserem Planeten konzentrieren würde. Von heute aus gesehen, stellt sich die Frage, ob es Naivität oder einfach Trägheit war, die uns die Chancen, die sich damals öffneten, nicht ergreifen liesen.

Wenn etwas die Chancen ergriffen hat, dann war es wohl das kapitalistische System, dass umgehend in die neuen Räume vorstiess und unter dem Slogen der Freiheit vor allem die Freiheit der Märkte meinte. Solidarität und die Frage nach dem sorgsamen und vernünftigen Umgang mit den begrenzten Ressourcen für eine weiterhin wachsende und sich immer mehr vernetzende Weltbevölkerung wurden von dieser Entwicklung igonriert.

Gleichzeitig wurden die populistischen Bewegungen und die Resentiments gegen die als westlich wahrgenommene Lebensweise immer stärker. Die Auseinandersetzung mit dem Islamismus, der Freiheit und Liberalismus radikal negiert, gehört ebenso dazu, wie die Abschottungspolitik Europas, der es bis heute nicht gelungen ist, eine menschenwürdige Praxis für die Migrationsbewegungen von Millionen Menschen zu konzipieren, geschweige denn zu realisieren. Populistische Präsidenten in zahlreichen Ländern - auch westlicher Prägung - höhlten und höhlen die Autonomie Rechte aller immer weiter ein und ignorieren die Vielfalt, die berechtigten Interessen und legitimien Rechte aller, die von einer Minderheit als "anders" gelabelt werden.

Wir stimmen aber nicht in den Kanon derjenigen ein, die behaupten, alles sei schlechter geworden. Es gibt an vielen Punkten Fortschritte wahrzunehmen. Die Sensibilität für die Rechte des globalen Südens gehört in einer neuen Generation im globalen Norden ebenso zum Repertoir wie die Besorgnis über den menschengemachten Klimawandel. Es ist eindeutig, dass wir als Menschheit diese Probleme und Herausforderungen nur gemeinsam bewältigen können. Covid hat überdeutlich gemacht, dass der Virus nur dann in den Griff zu bekommen ist, wenn uns das weltweit gelingt. Solange noch irgendwo auf der Welt das Virus grassiert, können neue Mutationen sich wiederum weltweit ausbreiten. Auch hier hat der Populismus und eine Medienlandschaft, die von Schockmeldungen lebt, zur Verstärkung des Problems beigetragen.

Der Schock eines archaischen und brutalen Krieges in Europa, initialisiert und geführt von einem Regime, das die grundlegenden Rechte der Menschen mit Füßen tritt und für eine erschreckende Weltordnung kämpft, sitzt tief. Seine Auswirkungen werden uns mindestens eine Generation lang beschäftigen und sind noch gar nicht abzusehen.

Das Bild der Gegenwart ist - wie immer widersprüchlich, ja zur Zeit fast deprimierend. Schaut man auf die positive Seite, so finden sich eine Vielzahl von Initiativen und Debatten, die der Verteidigung und dem Ausbau von Autonomie, Freiheit und Solidarität gelten. Mediation sieht und fördert den Mehrwert der Kooperation. Mediation zeigt auf, was notwendig ist, damit Kooperation gelingen kann und wir aus der Vielfalt von Perspektiven einen Mehrwert für alle schaffen können. Mediation verfolgt die konkrete Utopie, dass für die Zukunft nicht nur das gedacht wird, was wahrscheinlich ist, sondern das das erdacht werden kann, was darüber hinaus möglich ist. Ohne diese konkrete Utopie wäre die Zukunft nur die Fortschreibung der Vergangenheit in die Zukunft. Das können wir uns jedoch nicht leisten. Es braucht in fast allen Bereichen neue Ansätze und dafür braucht es neue Ideen, Phantasie und die Kraft zu Experiementen. Kooperation schafft Frieden, Solidarität und damit die Voraussetzungen zur Bewältigung der existentiellen Krisen der Gegenwart. Doch Mediation ist auch nicht naiv. Mediation braucht auch die Stärke und den Schutz grundlegender Menschenrechte gegen die mächtigen Feinde von Autonomie und Freiheit. Doch diese Feinde sind eben nicht nur die Populisten oder einzelne Akteure, sondern sind systemisch zu verorten und müssen daher auch systemisch analysiert und bekämpft werden.

Wir wissen uns in unseren Bemühungen nicht alleine, sondern Mediation reiht sich ein in eine Vielzahl von Bewegungen, die sich diesen ernsthaften Problemen konstruktiv zu stellen versuchen.

Man kann die Probleme der Gegenwart einfach hinnehmen, verzweifeln oder sich zumindest bemühen, an ihrer Lösung mitzuwirken. Wer Mediation macht, wer mediative Kompetenzen in seiner Umgebung umsetzt, fördert Kooperation und leistet einen Beitrag dazu.

Berlin, Juni 2022

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Tue, 14 Jun 2022 16:21:00 +0200
Genozide in Namibia – Dialog mit Betroffenen suchen http://www.trhenschel.de/home-blog/lesen/artikel/genozide-in-namibia-dialog-mit-betroffenen-suchen.html Dr. Thomas R. Henschel moderiert auf der ersten Konferenz für die Opfervertreter in Namibia

Genozide in Namibia – Dialog mit Betroffenen suchen

Dr. Thomas R. Henschel moderiert Konferenz zum Genozid in Namibia

 

Symposium und Konferenz in Namibia

„Wann werden die Deutschen endlich mit den Ovahereros und Namas als Gleiche sprechen?“ Die Frage von Maria, einer Vertreterin der Ovahereros, deren Urgroßeltern zu den Opfern des Genozides der Deutschen in der damaligen Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ gehören wiegt schwer. Wir sind in Windhoek auf der ersten Konferenz, in der die Stimmen der Opfer des von deutschen 1904-1908 verübten Genozides an den einheimischen Stämmen erstmals öffentlich sprechen können und Gehör finden.

1904: Der erste Genozide des 20. Jahrhunderts – verübt von Deutschen

1904 befand sich die damalige Kolonie des Deutschen Kaiserreiches in einer nach wie vor fragilen, von vielen Kämpfen und Auseinandersetzungen geprägten Situation wieder. Die deutsche Kolonialmacht versuchte mit allen Mitteln die einheimische Bevölkerung für ihre Zwecke auszubeuten. Dies beinhalte Kooperationen, Druck und Gewalt. Als die Ovahereros dagegen rebellierten, wurde die kleine Schutztruppe der Deutschen davon überrascht. Mit all ihrer kolonialen Überheblichkeit hatte man der einheimischen Bevölkerung eine derartige Aktion nicht zugetraut. Umso fürchterlicher wurde die Reaktion, die der Wiederherstellung der eigenen Superiorität diente. Auf Befehl von General von Throta wurden keine Gefangenen gemacht, sondern bewußt erschossen und die Überlebenden der Gefechte, Männer, Frauen und Kinder in die Wüste getrieben, deren Wasserstellen vergiftet und alle Auswege verschlossen. Über 80.000 Menschen starben auf qualvolle Weise – fast 80% der damaligen Bevölkerung (die Zahlen beruhen auf Schätzungen, die nach wie vor diskutiert werden). Der erste Genozide des 20. Jahrhunderts verübt von Deutschen in Afrika. Die wenigen Überlebenden wurden in Konzentrationslagern zusammengepfercht, wo viele von ihnen an Krankheiten und Unterernährung, oder einfach Vernachlässigung, starben. Ihre Leichen wurden im Wüstensand notdürftig verscharrt und dem Vergessen anheim gegeben. Obgleich vielfältige Quellen die Internationalität der Vernichtung der einheimischen Bevölkerung durch die Führung von Throta belegen, ist der Diskurs über die Frage, ob dies ein Völkermord war oder nicht, noch immer nicht abgeschlossen. Die Vertreter der Opferorganisationen erleben dies als erneute Benachteiligung und erleben wieder ihre Ohnmacht angesichts dieser Perpetuieren post-kolonialen Unrechts.

Allgegenwart kolonialer Vergangenheit 

2004 – 100 Jahre nach dem Genozide – entschuldigte sich die damalige Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul bei den Ovahereros und Namas als den Stämmen, die die meisten Opfer zu beklagen hatten. Doch die Bundesregierung beeilte sich, dies als persönliche Meinungsäußerung zu bezeichnen. Bis heute gibt es keine offizielle Entschuldigung der Bundesregierung.

Die Allgegenwart der deutschen kolonialen Vergangenheit in Windhoek und Swakopmund zeigt eines sehr deutlich: Deutscher Kolonialismus ist nicht Vergangenheit. Die Strukturen von Landnahme, Rassismus und Völkermord ragen tief in die Gegenwart hinein. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zerrissenheit eines der am dünnsten besiedelten Länder weltweit. Die Traumatisierung von ganzen Volksstämmen wie den Herrero oder Nama wird in der langen kolonialen Geschichte des Landes zudem überlagert von der südafrikanischen Apartheitspolitik und den globalen neokolonialen Zugriffen auf die Rohstoffe des Landes.

Den Stimmen der Opfer Gehör verschaffen

Die Opferverbände haben vielfach versucht, ihren Stimmen Gehör zu verschaffen. Erfolglos. Zwar verhandelt die Bundesregierung seit vielen Jahren mit der Staatsregierung von Namibia. Nur bei diesen Verhandlungen auf staatlicher Ebene sind die Opferverbände nicht vertreten. Die Diskriminierung geht immer weiter – auch heute noch, werden die Opfer zu Opfern gemacht und können nicht mitverhandeln bei Fragen, die zuallererst sie selbst betreffen. Statt das mit ihnen gesprochen wird, wird über sie gesprochen.

Das Recht bietet die Chance, denjenigen, die von der Macht ausgeschlossen sind, Zugang zu ihrem Recht zu verschaffen. Daher suchten die Opferverbände über den Klageweg sich zumindest Gehört zu verschaffen. Dies ist über die Einreichung einer Klage vor einem Bezirksgericht in New York gelungen. Auch wenn die Klage abgewiesen wurde, sie hat weltweite Aufmerksamkeit für das Thema geschaffen.

Die Verantwortung und Rolle der Zivilgesellschaft

Das European Center for Constitutional Rights hat gemeinsam mit der Akademie der Künste in Berlin Anfang 2018 eine Veranstaltungsreihe zum Unrecht des Kolonialismus aufgelegt. Auf der ersten Konferenz führten die intensiven Auseinandersetzungen zu dem Wunsch der Vertreter der Ovahereros und Namas, ein solches Format auch in Namibia selbst durchzuführen.

Dr. Thomas R. Henschel war auf Einladung der Veranstalter als Mediator bei den Gesprächen in Namibia dabei. Es wurde deutlich, dass die zwischenstaatlichen Verhandlungen, so wichtig sie auch sind, alleine nicht zu einer Lösung der Probleme der Betroffenen führen. Deswegen ist das Engagement zivilgesellschaftlicher Akteure so wichtig. Die Initiatoren und die Bertroffenen sehen eine einzigartige Möglichkeit für die Transformation historischer Traumata nd die Entwicklung einer kulturellen und wissenschaftlichen Emanzipation, beispielsweise durch die Entwicklung eines lebendigen Gedächtnisraumes.

Ohne Dialog wird es keine Lösung geben

Diesen Dialog gilt es fortzuführen. Wir sind mit großer Sorge aus Namibia zurück gekehrt und wir haben dies in einem Brief an die Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, den Außenminister, Heiko Maas, und Staatsministerin Frau Michelle Müntefering zum Ausdruck gebracht. Darin fordern wir (das European Center for Constitutional and Human Rights, die Akademie der Künste und die Forschungsstelle Hamburgs (Post-)koloniales Erbe der Universität Hamburg), dass die deutsche Bundesregierung bei der Aufarbeitung des Genozids an den Ovalerer und Nama vor 115 Jahren endlich den Dialog mit den Betroffen suchten, statt nur auf zwischenstaatliche Verhandlungen zu setzen. 

Der Umgang mit Verbrechen von der Dimension eines Genozides braucht mehr: er erfordert die Schaffung von Räumen, in denen die Antagonismen aller Betroffenen verhandelt werden können. Es braucht die Fähigkeit den schmerzhaften Erfahrungen Raum zu geben und zuzuhören und gemeinsam trauern zu können. Dies sind langwierige Prozesse, sie brauchen Geduld und sind zu wichtig, als das wir sienur staatlichen Verhandlungen oder nur den Juristen überlassen dürfen. 

Die Verbrechen lassen sich nicht wieder gut machen, aber wir heutigen sind aufgefordert uns so zu verhalten, dass eine Transformationen möglich wird, die eine bessere Zukunft schaffen kann.

Wir haben uns nunmehr entschlossen, unseren Brief der Öffentlichkeit nicht länger vorzuenthalten.

FORDERUNG NACH DIALOG MIT DEN BETROFFENEN – BRIEF AN DIE BUNDESREGIERUNG

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Thu, 11 Jul 2019 10:52:00 +0200
Dialog-Forum in Myanmar - Gerade in schwierigen Zeiten muss man im Gespräch bleiben http://www.trhenschel.de/home-blog/lesen/artikel/dialog-forum-in-myanmar-gerade-in-schwierigen-zeiten-muss-man-im-gespraech-bleiben.html Dr. Thomas R. Henschel moderiert Dialog in Myanmar

Dialog-Forum in Myanmar - Gerade in schwierigen Zeiten muss man im Gespräch bleiben

Dr. Thomas R. Henschel moderiert Dialog-Forum in Myanmar

Signet macht Dialog-Forum zusammen mit Goethe-Institut in Yangon

Wer an Myanmar denkt, der hat exotische Bilder von goldenen Pagoden, buddhistischen Mönchen und Nonnen in ihren farbenfrohen Gewändern in Yangon vor Augen. Man denkt an die tausenden von Tempeln in Bagan, die golden im Sonnenaufgang leuchten oder die schwimmenden Gärten des Inle Sees. Sicher fällt einem auch die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi ein, die Tochter des Generals, der noch vor der Unabhängigkeit Burmas ermordet wurde, und die jahrelang unter Hausarrest der Militärdiktatur stand. Im Zuge der Öffnung des Landes wurden Wahlen abgehalten und die Tochter wurde Chief Counselor und gilt im Westen als de-facto Regierungschefin. Wer etwas informierter ist, der denkt auch an einen der längsten Bürgerkriege in der Geschichte der Menschheit, der bis heute nicht befriedet ist und dessen Wurzeln weit in die koloniale Geschichte und davor zurückreichen. 

Größte Humanitäre Katastrophe der Welt neben Syrien und dem Jemen

Die Jahre der Öffnung sind vorbei und die letzten Monate brachten für Myanmar nur noch negative Schlagzeilen in der Weltpresse. Im Rakhine, dem westlichen Staat der Union von Myanmar werden wir Zeugen der größten humanitären Katastrophe neben Syrien und dem Jemen. Hunderttausende von Menschen, die zu den Rohingyas gezählt werden und praktisch staatenlos sind, werden brutalst verfolgt, ermordet und vergewaltigt. Wer konnte, der floh nach Bangladesch. Die Bilder dieser brutalen Morde und Vertreibung gingen um die Welt. Und das Morden und die Vertreibung gehen immer noch weiter. Und als wäre das nicht alles schon schrecklich genug, droht nun seinerseits in Bangladesch die nächste Diktatur. 

Keine Zeit mehr für Geduld

Die Hoffnungen des Westens, dass die Trägerin des Friedensnobelpreises dieser humanitären Katastrophe entgegentreten würde, wurden enttäuscht. Es offenbart sich nun, dass die Projektion aller Hoffnungen auf eine Person naiv war. Mittlerweile gibt es eine Resolution der UN, die eine strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen in Myanmar fordert. Die westlichen Staaten, allen voran die EU, fordern die Wiedereinführung von Wirtschaftssanktionen gegen das Land. Doch diese würden nicht die Verantwortlichen in Militär und Staat, sondern die Bevölkerung und den gerade erst begonnenen wirtschaftlichen Aufschwung treffen. Es ist vor allem der Textilbereich, der wirtschaftlich von der Öffnung des Landes sehr profitiert hat. Sanktionen würden besonders Frauen schaden, die in diesem Bereich arbeiten, und die damit ihre Einkommensquelle verlören und ihre Familien nicht mehr ernähren könnten. Gleichzeitig hat die Währung bereits massiv an Wert verloren und Korruption beherrscht weiterhin die Wirtschaft. Die Reichen im Land würden sich mit Sanktionen gut arrangieren können. Wer immer diese Missstände im Land anprangert, muss mit der ganzen Härte des Regimes rechnen und wird zu harschen Gefängnisstrafen verurteilt. Die beiden Journalisten Wa Lone und Kyaw Soe Oo wurden jeweils zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie über nachweisbare Verbrechen der Militärs berichtet hatten. Erst vor wenigen Wochen wurden sie im Zuge einer Amnesie wieder freigelassen. Ob dies ein Zeichen der Hoffnung ist, bleibt abzuwarten. Der weltweite Einsatz für ihre Freilassung hat jedoch, soviel wird sich sagen lassen, Wirkung gezeigt. Der mutige Polizeibeamte, der zu ihren Gunsten aussagte, wurde aus dem Dienst entfernt und sein Leben und das seiner Familie zerstört. Das Regime fordert Geduld von seinen Bürgerinnen und Bürgern, doch diejenigen, die der Opposition noch eine Stimme geben können, sind dazu nicht mehr bereit. In ihren Augen muss sich schnell in ihrem Land etwas ändern. 

Romantische Selbsttäuschung des Westens

Das romantische Bild von Myanmar ist also vor allem das: eine westliche Projektion von romantischen Sehnsüchten und Träumen, die stark von post-kolonialen Bildern geprägt ist. Die Realität ist eine ganz andere und da der Tourismus ebenfalls massiv eingebrochen ist, dreht sich die Abwärtsspirale immer schneller. Das Regime reagiert fast reflexartig mit Trotz und Selbst-Isolation. Auf der einen Seite werden dadurch die Chinesen noch wichtiger, da diese ihre Unterstützung gerade nicht an Menschrechte binden. Auf der anderen Seite werden die Hoffnungen einer ganzen Generation enttäuscht, die hungrig nach einem Leben sind, das sie gerade angefangen haben, zu erleben. 

Neue Wege finden

In solchen Situationen gibt es keine einfachen Lösungen. Allgemeine Sanktionen schaffen Opfer unter denen, die bereits Opfer sind. Der Westen mag sich dann beruhigen, dass er ja etwas tut. Gleichzeitig muss er sich dann auch nicht mit seiner eigenen post-kolonialen Verantwortung für die jetzige Situation im Land auseinandersetzen. Aber es existieren heute bessere Möglichkeiten, wirtschaftlich diejenigen zu treffen, die ihr eigenes Land ausbeuten. Das Einfrieren von ausländischen Vermögen und die Einschränkung der Reisefreiheit könnte gezielt für die Personen veranlasst werden, die sich an den Verbrechen beteiligen und bereichern (sog. smart sanctions). Gleichzeitig würde es den Textilbereich und andere Wirtschaftsbereiche schonen, so dass z.B. keine Frau gezwungen wäre sich zu prostituieren, um ihre Familie, die von ihrem Einkommen abhängig ist, zu ernähren. 

Die Kraft des Dialoges nutzen

Gleichzeitig ist es wichtig, dass das Land mit seinem Reflex der Selbst-Isolation nicht zusätzlich durch die Reaktionen des Westens zu weiterem Rückzug ermutigt wird. Es kommt also darauf an, weiter im Gespräch zu bleiben und die moderaten Kräfte im Land zu unterstützen, wo immer es geht. Kunst und Kultur vermögen solche Kommunikationskanäle offen zu halten, wenn die politischen und wirtschaftlichen Ebenen sich verschließen. Es käme also darauf an, ein solches Dialog Forum zu schaffen, ohne dass dadurch die reflexartigen Abwehrreaktionen des Regimes aktiviert werden. Noch herrscht Meinungsfreiheit in Myanmar. Noch besteht die Chance den Dialog mit den Menschen zu suchen und zu intensivieren, die an einer guten Zukunft für dieses Land interessiert sind und die in einer erneuten Isolation die Katastrophe erkennen, die sie ist. 

Kann man sich darüber verständigen, Wie man miteinander sprechen will?

Spricht man in Myanmar mit Politikern, Journalisten und Wissenschaftlern so wird diese Idee eines Dialogs sehr positiv aufgenommen. Schnell ist man sich einig, dass es darum gehen muss, die Kraft des Dialoges selbst zum Thema zu machen und jede Form der Irritation dabei zu vermeiden. Das dialogische Konzept ist kein Privileg des Westens. Es hat eine mindestens ebenso lange, wenn nicht längere Tradition im Osten. Kunst und Kultur sind angewiesen auf Dialog, sie leben von unterschiedlichen Perspektiven und dem Respekt vor unterschiedlichen Meinungen. Unterschiede sind normal, auch darin waren sich meine Gesprächspartner einig. Gelingt es mit Unterschieden respektvoll umzugehen, so können sie dazu führen, dass gemeinsam etwas Neues geschaffen wird und die Zukunft nicht die Fortsetzung der Vergangenheit sein muss. Es ist alles andere als gewiss. 

Dialog-Forum in Yangon

Gemeinsam mit dem Goethe-Institut in Myanmar haben wir zu Beginn diesen Jahres einen solchen Dialog initiiert und durchgeführt. Auf dem Forum haben Politiker_innen, Journalisten_innen und Künstler_innen erstmals öffentlich miteinander über die Kraft des Dialogs und seine Bedeutung für die weitere Entwicklung in Myanmar gesprochen. Das Dialog Forum sollte helfen, denen eine Stimme zu geben, die sonst nicht zu hören sind. Dafür war es wichtig, dass jede und jeder in ihrer/seiner Muttersprache sprechen konnte und die Teilnehmenden aus dem Westen durch Übersetzung folgen konnten. 

Über 140 Interessierte nahmen am Dialog-Forum teil. Selbstverständlich kann eine Veranstaltung nur Impulse setzen. Doch dies ist gelungen. so hat die Universität von Mandalay sofort die Gelegenheit ergriffen und nur eine Woche später, ein Dialog-Forum zum Thema „Mediation“ mit Dr. Henschel durchgeführt. Auch zwischen den verschiedenen Teilnehmenden des Dialog-Forums in Yangon setzt sich der Dialog fort. 

Gelingt es, dass wir uns auf eine gemeinsame Art verständigen können, wie wir miteinander sprechen, dann können wir in einem nächsten Schritt vielleicht auch über die Themen sprechen, die uns heute noch verzweifeln lassen. Ausführliche Informationen über die Menschenrechtssituation in Myanmar finden sich bei Amnesty International: www.amnesty.de/jahresbericht/2018/myanmarDialog

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Thu, 11 Jul 2019 10:40:00 +0200
Welche Zukunft?! Humboldt Forum veranstaltet Symposium in Berlin http://www.trhenschel.de/home-blog/lesen/artikel/welche-zukunft-humboldt-forum-veranstaltet-symposium-in-berlin.html Thomas R. Henschel moderiert Symposium mit internationalen Experten und Künstlern

Welche Zukunft?! Symposium des Humboldt Forums in Berlin Thomas R. Henschel moderiert Symposium mit internationalen Experten und Künstlern

Was, wenn wir wüssten – wenn wir mit Sicherheit wüssten, dass die Party im Jahr 2026 zu Ende ist, dass eine Bank oder ein Algorithmus oder ein Land die Weltwirtschaft vor die Wand fährt – was würden wir tun? Hier und jetzt, was würden wir unternehmen?

WELCHE ZUKUNFT?! ist ein interdisziplinäres, partizipatives Recherche- und Theaterprojekt, das sich zur Aufgabe gestellt hat, diese Frage zu beantworten: Was können wir tun, um zu verhindern, dass uns eine nächste Finanz- und Wirtschaftskrise endgültig den Boden unter den Füßen wegzieht?

Zusammen mit internationalen WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen und dem Publikum erforscht die vierteilige Veranstaltungsreihe den Zusammenhang von Wissen, Vorhersage und Gestaltung und erzählt dabei die Geschichte der nächsten 10 Jahre: von 2018 bis 2028. Irgendwo zwischen Agora, Science-Fiction, mathematischem Modell und dem Zufall liegt die Geschichte der Zukunft. Müssen wir nicht zumindest eine Vorstellung von ihr haben, um sie zu ändern?

Andres Veiel und Jutta Doberstein wollen eine Debatte über unsere Zukunft anregen

Ziel ist es, aus der Stagnation heraus zu treten, die permanente Gegenwart zu verlassen und eine Debatte über unsere Zukunft anzuregen. Fahren wir als Crashtest-Dummies der Geschichte immer wieder gegen dieselbe Wand?

Initiiert wurde das zweijährige Projekt durch den preisgekrönten Autor, Film- und Theaterregisseur Andres Veiel sowie die Autorin Jutta Doberstein. Mit WELCHE ZUKUNFT?! testen sie gemeinsam mit ihrem Team neue Formen der Beteiligung und Mitgestaltung, um zwischen akademisch-wissenschaftlichem Denken und künstlerischer Interpretation einen öffentlichen Dialog über zukünftige Gesellschaften anzustoßen.

Am letzten Wochenende fand jetzt im Kronprinzenpalais in Berlin das große Symposium dieses Projektes statt. Das Symposium ist nach dem Labor vom Frühjahr diesen Jahres die zweite große Wegmarke auf dem Weg der Entstehung eines neuen Theaterstückes von Andres Veiel, das am 28. September 2018 im Deutschen Theater seine Premiere feiern wird.

Am Samstag rekonstruierten die zahlreichen Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und der Aktivisten Szene die Geschehnisse der Finanzkrise. Mit Hilfe des spektakulären, interaktiven Tisches konnte eine Timeline erstellt werden, die die unzusammenhängenden Ereignisse zu einem vielstimmigen und multi-perspektiven Narrativ verdichtete.

Aus der Arbeit im Labor hatten sich zwei große Themenfelder herauskristallisiert: Arbeit und Staat. Thomas R. Henschel eröffnete gemeinsam mit Andres Veiel diesen Tag und moderierte die Plenarien der insgesamt fast 140 Teilnehmenden.

Keine Lehren aus der Finanzkrise gezogen - Alles bleibt wie es ist

Die Rekonstruktion der Finanzkrise hatte ein niederschmetterndes Bild gezeichnet. Zum einen wäre die Krise vermeidbar gewesen, wie Pavlina Tcherneva, Professorin für öffentliche Wirtschaft aus New York, konstatierte, zum anderen wurden die Akteure in aller Regel nicht zur Verantwortung gezogen und Ideen und Ansätze für bessere Regulierungen und Kontrollen abgeschmettert. Einzig Island hat 24 Menschen verurteilt, die dann ihre Strafe im Gefängnis antreten mussten. Alle anderen in Europa und den USA wurden als „to big to jail“ angesehen. Selbst die bereits beschlossene Trennung von Investmentbanking von Privatbanking, deren Verknüpfung eine der wesentlichen Gründe für die Dimension der Krise war, wurde von der EU Kommission wieder aufgehoben. Mit einem Wort: es scheint alles so weiter zu gehen wie vor der Krise. Damit aber, so der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Dresdner Bank, Otto Steinmetz, werde die nächste Krise sicher kommen und wir werden keine Instrumente haben, sie wirkungsvoll zu bekämpfen.

Doch die Zukunft ist noch nicht geschrieben, wir sind durch die Vergangenheit nicht determiniert, sondern unsere Entscheidungen von heute werden Wirkungen in der Zukunft haben. Wie also wollen und können wir unserer Verantwortung heute gerecht werden, welche Zukunft wollen wir haben? Wie wollen wir leben? Damit Neues möglich wird, brauchen Menschen Räume in denen sie sich intensiv austauschen können. Das Neue entsteht nur dialogisch. Die Gestaltung eines Diskurses, die Schaffung von Räumen um Neues zu denken, außerhalb eingeübter Diskussionsrituale, dafür bietet das Theater und die Kunst als Unterbrechungsraum die idealen Voraussetzungen. Doch die Zusammenarbeit von Menschen ist nicht selbstverständlich. Struktur ist eine Bedingung die Freiheit ermöglicht und so schaffte das Format von „Welche Zukunft“ genau die Räume, die für einen intensiven, wertschätzenden Austausch zwischen allen Beteiligten notwendig sind. So konnte jeder und jede mit Neugierde, Offenheit und Respekt für andere Perspektiven in die Gespräche und gemeinsame Arbeit gehen. Auf diese Weise konnte etwas gemeinsam entstehen, was einer alleine nicht schaffen kann.

Neues zu denken heißt neue Möglichkeiten schaffen

Damit das Neue in die Welt kommt, muss es zunächst als eine Möglichkeit gedacht und diskutiert werden. In den Workshops wurden unterschiedliche, zum Teil sich widersprechende, ergänzenden und auch ausschließende Modelle diskutiert und erarbeitet. Nicht die Schaffung von einfachen Lösungen für hochkomplexe Probleme stand dabei im Fokus, sondern die Gestaltung eines lebendigen Diskurse von Bürgerinnen und Bürgern, die Offenlegung der unterschiedlichen Ansätze, Menschenbilder, Werte und Glaubenssätze, die Diskussion unserer Sehnsüchte und Zielvorstellungen.

Die Vielfalt der Themen reichte dabei von einem „Land ohne Armut“ über das „Bedingungslose Grundeinkommen“ oder eine „staatliche Jobgarantie“ über die Frage, wie die Utopie der „Vereinigen Staaten von Europa“ und die „Weiterentwicklung der Demokratie“ auch und gerade angesichts der Tatsache, dass Algorithmen zu einem neuen Verhältnis von „Macht und Maschinen“ führen.

Transformiert sich der Staat in eine Plattform, auf der die vereinzelten Menschen miteinander Informationen und Dienstleistungen austauschen und zieht sich ansonsten aus allem zurück? Oder wie sieht es mit der erschreckende Vision einer Elite aus, die sich auf selbstgeschaffenen exterritorialen Inseln zurückzieht, und wo nur die, die Anteile besitzen, auch mitbestimmen können. Wie immer man auch „Staat“ denkt, seine Ausgestaltung und Aufgabe hängt in erster Linie von dem ihm zugrunde liegenden Menschenbild ab. Wir wir uns selbst also denken und sehen wollen, gibt uns die Möglichkeit anders und neu in der Welt wirksam zu werden. Es ist daher nicht unerheblich, welches Menschenbild wir zugrunde legen.

Wie kann das Mögliche real werden?

Wir erleben wie so oft in der Moderne die Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeit. Während in den entwickelten Staaten die „light-out Fabriken“ entstehen, arbeiten die Näherinnen in Bangladesch unter lebensbedrohlichen Bedingungen an Nähmaschinen des 19. Jahrhunderts, um für die Konsumenten hier billige Kleidungsstücke herzustellen. Gleichzeitig nutzen wir Antagonismen und bestehende Begrifflichkeiten, um eine Welt zu beschreiben, die damit einfach nicht mehr fassbar ist. Wir erleben Brechen der Bedeutungsachsen und dies verstärkt das Gefühl des Ausgeliefertseins und der Hilflosigkeit noch weiter. Denn wir das, was wir wahrnehmen und erleben, nicht angemessen ordnen können, und das heißt eben auch immer, sprachlich benennen und in Beziehung setzen können, verlieren wir die Orientierung. Ohne einen kohärenten Deutungsrahmen, werden wir handlungsunfähig. Da ein Mensch alleine nicht die Vielperspektivität dieser Welt zu erfassen vermag, liegt die Wahrheit bekanntlich im Dialog. Wir sind daher darauf angewiesen, solche Räume für Diskurse zu schaffen. Dabei geht es nicht um einfache, lineare Lösungen und Handlungsanweisungen. Sondern der Diskurs selbst schafft dynamische und temporäre Antworten, die uns wieder handlungsfähig machen. Die Herausforderungen, vor denen wir als Menschheit insgesamt stehen, sind enorm. Das Mögliche unterscheidet sich vom Tatsächlichen nicht wesensmäßig. Doch damit das, was Möglich ist, auch real wird, bedarf es einer gewissen geistigen Anstrengung. Es gibt eine Wahrscheinlichkeit, dass wir die vielfältigen Herausforderungen meistern können. Unabhängig davon, ob man ein pessimistischer Utopist oder ein optimistischer Dystopist ist. Das Symposium jedenfalls hat deutlich gemacht, dass wir nicht durch die Vergangenheit determiniert sind. Wir sind frei und dazu aufgerufen, uns als die zu entwerfen, die wir sein wollen und dafür die Verantwortung zu übernehmen. Erst das macht uns zu Menschen.

Andres Veiel wird aus den Eindrücken, Diskussionen und Ergebnissen des Labors und des Symposiums ein neues Theaterstück schreiben, das am 28. September 2018 im Deutschen Theater Prämiere hat. Das Humboldt-Forum, das noch seinen Platz und seine Aufgabe sucht, schafft mit diesem Format ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Diskurse im 21. Jahrhundert initiiert und geführt werden können.

Thomas R. Henschel wurde am Ende vom Humboldt Forum nach seiner Einschätzung gefragt. Er findet es wichtig, dass das Humboldt Forum Räume schafft, in denen der Dialog ermöglicht wird, wie wir als Menschen unsere Zukunft in gemeinsamer Verantwortung gestalten wollen. Solche Denk- und Diskursräume zu schaffen ist alles andere als selbstverständlich in einer Zeit, in der die Länge einer Twitter-Nachricht und Echoblasen als ausreichend und erschöpfende Information erscheinen. Damit Menschen miteinander in einen guten Dialog treten können, braucht es unterstützende Strukturen und Formate, denn der wertschätzende Austausch und das gemeinsame Nachdenken finden nicht von alleine statt. Dafür braucht es gegenseitiges Interesse, Neugier, Sehnsucht auf Neues, die Fähigkeit zuzuhören und abweichendes gelten zu lassen. Thomas R. Henschel ist der Meinung, das Andres Veiel und sein Team mit dem Konzept „Welche Zukunft“ ein Beispiel dafür geben, wie solche Räume geschaffen werden können, die den Diskurs fördern. Er hofft sehr, dass das Humboldt-Forum bei seiner Suche nach seiner Aufgabe und seinem Platz die Chance wahrnimmt, die darin liegt, derartige Formate auch für andere Themen und Inhalte zu nutzen, die im internationalen Diskurs einer sich bildenden Weltgesellschaft geführt werden müssen.

weitere Informationen finden Sie auf:  Welche Zukunft:

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Mon, 23 Apr 2018 15:57:00 +0200
Puigdemont fordert Mediation - Muss Europa handeln? http://www.trhenschel.de/home-blog/lesen/artikel/puigdemont-fordert-mediation-muss-europa-handeln.html

Puigdemont fordert Mediation - Muss Europa handeln?

Charles Puigdemont ist unter Auflagen aus der Haft entlassen worden und hält sich jetzt hier in Berlin auf. Seine spektakuläre Verhaftung und der bisherige Verlauf des Gerichtsverfahrens haben das Thema Katalonien wieder auf die Tagesordnung der europäischen Politik gehoben.

Der Konflikt ist komplex und wird seit Jahrzehnten zwischen Barcelona und Madrid ausgefochten. Im Kern geht es um Autonomie und Verbundenheit. Wie autonom kann eine Region sein, die Teil eines Nationalstaates ist? Durch den Konflikt und die Art und Weise wie die Konfliktführer in den letzten Jahren agiert haben, mussten immer radikalere Positionen eingenommen werden. Längst geht es nicht mehr um Autonomie, sondern um die vollständige Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien. Ein Vorgang, der viele in Europa mit Sorge erfüllt. Katalonien ist nicht die einzige Region in Europa, die Probleme mit ihrer Zentralregierung hat. Viele befürchten, dass mit Katalonien ein Präzedenzfall geschaffen werden könnte, der eine enorme desintegrative Wirkung in Europa hätte. In dieser Situation hat sich die EU und haben sich die anderen Staaten in Europa versucht so gut es geht raus zu halten. Am einfachsten konnte man das mit Argumenten es handle sich um eine innerstaatliche Angelegenheit, die innerhalb der spanischen Rechts- und Verfassungsordnung gelöst werden solle.

Doch nun mehren sich die Stimmen, die nach einer europäischen oder deutschen Vermittlung rufen. Elmar Brok schlägt explizit ein Mediationsverfahren vor. Doch müsse Puigdemont vorab auf seine Forderung nach Unabhängigkeit verzichten. Mediiert werden könne dann der Grad der Autonomie innerhalb des Nationalstaates Spanien. Puigdemont signalisiert in Berlin, dass er sich darauf einlassen könnte. In der Tat liegt hier ein Problem für Madrid. Stimmt Regierungspräsident Mariano Rajoy einem Mediationsverfahren zu, kann dies als Teilerfolg von Puigdemont verstanden werden.

Gleichwohl wird kein Weg daran vorbeiführen, dass beide Seiten miteinander sprechen müssen - soll eine weitere Eskalation des Konfliktes vermieden werden. Die Gewalt zu der es dann mit Sicherheit kommen würde, macht dann eine Verständigung noch schwieriger. Es führt also am Dialog kein Weg vorbei.

Damit dies möglich wird, müssen sich also die Konfliktparteien zunächst darauf einigen, dass sie diesen Weg des Dialoges, vermittelt durch einen Mediator, gehen wollen. Meiner Meinung nach kann Europa bei der Herstellung dieser Einigung auf das Verfahren wertvolle Hilfe leisten. Ziel muss hier sein, dass keine Seite das Gesicht verliert und erhobenen Hauptes zur Mediation kommen kann.

Dieses Verfahren dann selbst von der EU oder Deutschland durchführen zu lassen, ist sicher eine Idee, die man sorgfältig bedenken sollte. Norbert Röttgen, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, weist zurecht darauf hin, dass Europa nicht in die Rolle kommen wolle, in solchen Konflikten zwischen Regionen und ihren Nationalstaaten zu vermitteln. Das muss aber nich bedeuten, dass Europa sich völlig aus diesem Konflikt heraushalten muss: Europa sollte sich darauf beschränken, die Konfliktpartner auf den Weg der Mediation zu führen. Sollte dies gelingen, dann bliebe immer noch die Frage offen: Wer soll die Mediation durchführen?

Eine interessante Antwort kommt hierzu von dem Grünen-Vorsitzenden Habeck. Er schlägt eine Region Europas vor. Vorzugsweise die, in der er Minister ist. Schleswig-Holstein, so Habeck, verfüge aufgrund des Dänisch-Deutschen Verhältnisses über eine Expertise, wie man in einer Region friedlich zusammen leben könne. Diese bietet Habeck jetzt Katalonien und Spanien an. Was den Vorschlag so interessant macht ist, dass Habeck offensichtlich schon glaubt zu wissen, was die Katalanen und die Madrider machen müssen, um ihren Konflikt zu klären: zu ihm kommen, damit er es ihnen erklärt?

Aus der Mediation von internationalen und unterkulturellen Konflikten wissen wir, dass neben der Entscheidung zu einem Mediationsverfahren, auch das Verfahren der Auswahl der Mediatoren entscheidend für den Erfolg der Mediation und die Qualität der geschaffenen Lösung ist. Im konkreten Fall könnte die EU die Parteien dabei begleiten, sich auf den Weg der Mediation einzulassen. Sodann müssten die Konfliktpartner einen Mediator oder ein Mediatorenteam berufen. Aus ganz pragmatischen Gründen wäre es von enormem Vorteil wenn die Mediatoren mit der katalanischen und der spanischen Kultur und Sprache vertraut wären. Man könnte es beispielsweise so machen, dass die Madrider Regierung einen Mediator aus Katalonien und die Barcelona Seite einen Mediator aus Madrid bestimmt, die beide zusammen dann das Mediationsverfahren durchführen. Das wäre auch eine Herausforderung für die Zusammenarbeit der Mediatoren. Je besser sie als Team zusammen arbeiten, desto besser modelliert dies die Chancen für die Mediation insgesamt.  Dies ist selbstverständlich nur eine Möglichkeit. Bei internationalen Konflikten hat sich in der Vergangenheit auch die Zusammenarbeit mit privaten Trägern und Stiftungen ebenso bewährt, wie die Zusammenarbeit mit Nicht-Regierungs-Organisationen. Wesentlich ist, dass der Prozess der Entscheidung für das Verfahren und die Entscheidung für die Mediatoren professionell begleitet wird und getrennt vom eigentlichen Mediationsverfahren zu betrachten ist.

Damit könnte eine Mediation in diesem Fall gelingen. Aus anderen internationalen Verhandlungen wissen wir, dass diese konzentriert und ohne große zeitliche Unterbrechungen durchgeführt werden müssen. Gleichzeitig, und das wird in diesem Fall besonders herausfordernd sein, muss für die Dauer der Mediation eine gewisse Vertraulichkeit gewahrt werden. 

Das Haupthindernis ist im Moment aber: Wie gelingt es, beide Seiten zu einer Entscheidung für das Mediationsverfahren zu führen, ohne das damit eine Seite bereits das Gefühl haben muss, der anderen Seite entgegengekommen zu sein? Hier hat die EU jetzt eine Aufgabe, in der sie vermitteln kann. Gelingt es ihr, die beiden Parteien zu einer Entscheidung über die Frage "Wie" soll mit dem Konflikt umzugehen sein, zu bewegen, wäre schon viel gewonnen. Das "Was" würde dann in dem folgenden Mediationsverfahren von den Parteien selbst zu regeln sein.

Ob dies gelingen kann? Ja, mit Sicherheit. Doch dafür bedarf es von allen Seiten einer gewissen geistigen Anstrengung.

Thomas R. Henschel

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henschel@trhenschel.de Tue, 17 Apr 2018 12:14:00 +0200
Mediation braucht Freiheit http://www.trhenschel.de/home-blog/lesen/artikel/mediation-brauacht-freiheit.html

Mediation braucht Freiheit

Wie können wir die Mediation fördern?

von Dr. Thomas R. Henschel

Mediation kann man nicht mit Gesetzen und Zertifizierungsstellen fördern. Man engt sie damit nur ein und beraubt sie der Freiheit, die sie braucht wie die Luft zum Atmen. Der Gesetzgeber wird daher der Mediation den besten Dienst erweisen, wenn er die Forderungen nach mehr Kontrolle und Regularien zurückweist und die Freiheit verteidigt.

Allgemein ist jetzt Bestürzung über die Inhalte des Evaluationsberichtes zu den Auswirkungen des Mediationsgesetzes groß. Schnell sind auch die Schlussfolgerungen gezogen und von überall her kann man Lösungsvorschläge bekommen: „Man müsse die Qualität der Mediation sichern. Dafür müsse die Qualität der Ausbildung reguliert und überprüft werden. Es braucht einheitliche Zertifizierungen durch übergeordnete Stellen (den Verbänden), damit der Kunde sich orientieren kann.“ „Man muss die Mediation finanziell fördern, dass ginge am besten durch eine Mediationsbeihilfe.“ „ Man muss die Mediation in bestimmten Bereichen verpflichtend machen, das würde wenigsten die Gerichte entlasten.“

Es mangelt also nicht an Ideen und Vorschlägen, wie eine staatliche Förderung der Mediation in Deutschland verbessert werden kann. Nun, ist keiner dieser Vorschläge wirklich neu, viele spiegeln Interessen derjenigen wieder, die sie jetzt wieder hervorholen. 

Vielleicht ist aber staatliche Förderung gar nicht unser Thema? Wir wissen ja jetzt nur, dass ein Gesetz keinen messbaren Einfluss auf die Anzahl der Mediationsfälle hatte. Ist deshalb die Mediation in Gefahr? Geht es wirklich darum, die Vermarktung und das an-den-Mann und an-die-Frau-bringen der Mediation zu fördern? Vielleicht geht es bei der Frage der Förderung der Mediation um etwas ganz anderes.

Alle, die Mediation machen und immer wieder erleben, wie dadurch Menschen bessere Lösungen für schwerwiegende Konflikte und Probleme finden können, wünschen sich, dass mehr Menschen diese Erfahrungen machen können. Selbstverständlich wissen wir auch, dass eine Gesellschaft, in der Konflikte mediativ, eigenverantwortlich und konsensual gelöst werden, innovativer und lebenswerter ist, als eine Gesellschaft in der die Menschen ihre Konflikte an eine höhere Autorität delegieren oder gar nicht angehen. Insofern kommt der Frage danach, was es braucht, damit mehr Menschen Mediation machen, eine wesentliche Bedeutung zu.

Kann ein Gesetz gesellschaftliche Veränderungen bewirken?

Doch lassen wir uns von einem Evaluationsbericht zu einem Gesetz nicht in die Irre leiten. Dass das Mediationsgesetz nicht zu einem sprunghaften Anstieg der Mediationsfälle in Deutschland geführt hat, konnte nur diejenigen überraschen, die glauben, dass Gesetze gesellschaftliche Entwicklungen befördern. Dabei ist es umgekehrt: Erst kommt die gesellschaftliche Veränderung und dann folgt die staatliche Regulierung. So war es mit der Ehe für Alle, so erleben wir es bei der Individualisierung der Gesellschaft und so ist es auch im Bereich der Mediation.

Was braucht es, um sich auf Mediation einzulassen?

Wir Praktiker wissen, welchen Weg Parteien gehen, um sich auf Mediation einzulassen. Es ist ein Wagnis, sich im Konflikt der anderen Konfliktpartei auszusetzen. Erst wenn man persönlich erlebt, wie sorgfältig der Mediator/die Mediatorin, das Setting plant, die Gespräche strukturiert und Räume schafft, in denen sprechen, zu hören und im besten Fall gemeinsames Nachdenken möglich werden – erst dann bildet sich ein – meist erstauntes – Vertrauen in die eigene Fähigkeit Konflikte in einem Gespräch selbst und eigenverantwortlich gemeinsam zu lösen.

Mediation ist Ausdruck einer zivilen Streitkultur – wie sieht es da in Deutschland aus?

Wenn wir über Mediation sprechen, dann sprechen wir über die Streitkultur in Deutschland. Wie ist es um die bestellt? Dazu schweigt leider der Evaluationsbericht. Daraus kann man jetzt aber keinen Vorwurf für die Forscher ableiten. Es war nicht Teil ihres Auftrages. Wir sollten uns aber diesen verengenden Blickwinkel, der zu Verzerrungen führt, nicht zu Eigen machen. Die Streitkultur in Deutschland hat vielfältige Facetten. Unser Bild von ihr ist abhängig davon, wohin wir unseren Blick richten. In der Politik herrscht - zumeist im Licht der Medien - eine Streitkultur des Kampfes vor. Da treffen sich Politiker zu Duellen, es werden Punkte vergeben und ausgezählt, wer eine Runde gewonnen oder verloren hat. Wer etwas näher dran ist, weiß, dass in Ausschüssen und in den Ministerien durchaus auch kooperativ um die besten Lösungen gerungen wird – doch in der medial vermittelten Welt des Kampfes gilt das dann nur als Kompromiss – nie als Lösung.

Die offene Gesellschaft lebt vom Dialog und Austausch. Sie ist auf die freiwillige Mitwirkung aller angewiesen. Zu einer Streitkultur des Dialoges gehört auch, dass man den Feinden der offenen Gesellschaft entschieden und klar entgegentritt. Hier erlebt Deutschland gerade wieder eine Zeit der Herausforderungen und es bleibt abzuwarten, ob die deutsche Streitkultur daran wächst oder wir uns dieser Herausforderung nicht gewachsen zeigen.

In Unternehmen erleben wir oft, dass in den Teams eine Kultur der Konfliktvermeidung vorherrscht. Probleme werden meist hinter vorgehaltener Hand angesprochen und Konflikte im Grunde gerne vermieden. Unternehmen, die Konflikte als Selbstverständlichkeit und den offenen Umgang damit als Teil ihrer Firmenphilosophie behandeln, sind nach wie vor die Ausnahme. Zu groß ist die Sorge vor Beschädigungen und Verlusten. Der Preis dafür ist jedoch enorm. Als erstes leidet die Innovationsfähigkeit der Unternehmen. Dies führt dann zur Verleugnung von Problemen, was dazu führen kann, dass wesentliche Zukunftsmärkte übersehen und Fehler nicht angesprochen werden. Kritisches Feedback und offener Austausch sind auch in der Wirtschaft der Treiber für Innovationen. Ein weiteres kommt hinzu: Hohe Krankenstände und Burn-outs, um nur die auffallendsten Indikatoren zu nennen. Alleine sie sind im letzten Jahr um 80% gestiegen. Menschen leiden unter einer Unternehmenskultur, in der Konflikte nicht konstruktiv bearbeitet werden.

In Familien zeigt sich vielfach ein ähnliches Bild – wir weichen Konflikten aus, oder erleben ihre unkontrollierte Eskalation mit verehrenden Folgen – so dass wir uns darin bestätigt sehen, Konflikten eher aus dem Weg zu gehen.

Wie reagieren Menschen auf Konflikte?

Konflikte sind belastend und anstrengend. Auf Konflikte reagieren wir Menschen seit jeher mit einer „meide-es“ Reaktion. Hirnforscher können das mittlerweile recht gut erklären und es macht evolutionär auch Sinn, dass man Konflikten, wo immer möglich, aus dem Weg geht. Erst wenn eine Flucht nicht möglich ist, stellen wir uns zum Kampf und da geht es dann darum zu gewinnen, damit man nicht verliert. Läuft es ziviler ab, so richten wir uns nach dem Gesetz und unterwerfen uns dem Recht. Konsensuale Lösungen sind dem vorbehalten, was Daniel Kahnemann das „langsame Denken“ nannte.

Wir müssen dafür nachdenken, Gründe überprüfen, uns selbst reflektieren, uns als soziales und zum Mitgefühl fähiges Wesen erkennen und dem Gegner das Gleiche zu erkennen – wodurch er vom Gegner zum Konfliktpartner wird. Wir müssen darüber hinaus mit dem Konfliktpartner in den Dialog treten, da die Wahrheit , wie es Hannah Arendt einmal treffen ausgedrückt hat, nur im Dialog zu finden ist. Eine grossartige komplexe kognitive, emotionale und kulturelle Leistung. Wir sind dazu fähig und Menschen tun dies überall auf der Welt jeden Tag und in jedem Augenblick. Wir sind darin so gut, dass wir bis heute als soziale Spezies überlebt haben. Aber wir tun dies nicht aufgrund eines Gesetzes, sondern weil wir gelernt haben, wie wir Konflikte konsensual lösen können. Mediation ist ein Kulturgut der Menschheit. Sie braucht nicht nur individuelle Fähigkeiten, die man erlernen kann, sondern sie braucht auch ein gesellschaftliches und kulturelles Umfeld, das konsensuale Lösungen wertschätzt.

Mediation ist ein Kulturgut

Kulturen und Gesellschaften ändern sich nicht über Nacht. Eine Streitkultur hat viele Facetten - auch in der historischen Perspektive. Zu unserer Streitkultur gehören der kritische Diskurs und der Wettstreit der besten Ideen genauso, wie Autokratie, Gehorsam, Unterwerfung und die Vernichtung aller humanistischen Werte. Wie aber stellt man sicher, dass die notwendigen Differenzen und Spannungen konstruktiv und zivil gelöst werden?

Wie also fördert man eine zivile Streitkultur? Diese Frage scheint mir nach alledem hinter der Frage zu stehen, wie man Mediation fördern kann. Was braucht Deutschland, damit sich seine Streitkultur weiter entwickelt? Schaut man also weiter als der Evaluationsbericht der Bundesregierung und öffnet man insbesondere den Blick für das was Historiker den longé durée nennen, so sieht man Felder und Perspektiven, die uns nicht ganz so hoffnungslos zurück lassen. Wir brauchen gar nicht so weit zurück zu schauen. Es ist keine 20 Jahre her, da war Mediation tatsächlich etwas Exotisches. Etwas, das von den meisten Profis der Konfliktbearbeitung abgelehnt wurde.

Und heute? Jede Anwaltskanzlei, die etwas auf sich hält, hat auch Mediation im Angebot. Fragt man die Anwälte wieso sie das machen, so erfährt man, dass Mediation heute von ihren Mandanten nachgefragt wird, dass dort also ein Markt ist. Darüberhinaus sind die Anwälte davon überzeugt, dass Anwalt sein bedeutet, eine umfassende Beraterpersönlichkeit zu entwickeln und dazu gehört selbstverständlich auch die Mediation. Das gleiche Bild entwickelt sich seit einigen Jahren bei den Steuerberatern. Sie sind noch näher an ihren Klienten dran und erfahren von potentiellen und tatsächlichen Konflikten meist als erste. Da liegt es nahe, dass Steuerberater auch Mediation in ihr Portfolio aufnehmen, um ihr Dienstleistungsspektrum (auch im Angesicht der Digitalisierung) sinnvoll zu erweitern. Der deutsche Steuerberaterverband hat daher vor einigen Jahren den Fachberater für Mediation eingeführt und fördert dadurch die Weiterentwicklung seines Berufsstandes.

Und wie sieht es auf der Kundenseite aus? In vielen Unternehmen ist Coaching heute ein selbstverständliches Instrument geworden. Auch dies eine Entwicklung, die viele Jahre gebraucht hat. Und die Mediation? Nun, sie ist noch weit davon entfernt, selbstverständlich zu sein. Doch wir erleben in unserer Praxis zunehmend, dass eine neue Generation von Managern und Führungskräften mit genau dieser Selbstverständlichkeit auf Mediation und den Einsatz von Mediatoren für die Lösung von Konflikten zurückgreift. Für sie sind Konflikte eine Selbstverständlichkeit und sie haben ein großes Interesse daran, diese in wertschöpfende Lösungen zu transformieren. Gleichzeitig kommen auch erfahrene Manager und Unternehmer angesichts einer zunehmend komplexen Welt an die Grenzen ihrer traditionellen Verfahren. Auch sie sind auf der Suche nach Möglichkeiten, mit Unterschiedlichkeiten und Vielfalt konstruktiv umzugehen. Sie sind darauf angewiesen, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich aktiv bei der Lösung von Problemen und Konflikten im Unternehmen einbringen. Auch erfahrene Manager greifen daher immer öfter auf die Mediation zurück.

Hier zeigt sich, dass wir dem Phänomen Mediation nicht gerecht werden, wenn wir es auf bloßes „Fälle-zählen“ reduzieren. Das Thema ist sehr viel größer. Die Integration mediativer Kompetenzen in allen Bereichen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft schafft die Kultur, die wir brauchen, um die Herausforderungen einer immer komplexer werdenden Welt erfolgreich zu bewältigen.

Konnte diese Entwicklung Eingang im Evaluationsbericht finden? Aufgrund der Vorgaben leider nicht. Zu kurz der Zeitraum, der untersucht wurde, zu eng die Gruppe der Befragten, zu wenig Vergleichsdaten – bei aller Sorgfalt der Durchführung und Bandbreite der Instrumente, die zur Anwendung kamen. Der Bericht muss hier notwendig blind bleiben. Eine der Quellen der Verzerrung, die darin ihre Ursache hat, dass man die Wirkung eines Gesetzes evaluieren sollte und nicht den Blick auf eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung richtete. Auch Wissenschaft muss frei sein, und sollte nicht seinen Untersuchungsgegenstand vorgeschrieben bekommen. Wir erfahren also nichts darüber, das und wie Mediation immer bekannter und akzeptierter wird. Eine Entwicklung, die sich unmittelbar offenbart, wenn man zumindest die letzten 20 Jahre in den Blick nimmt.

Die Moderne ist auf Kooperation gebaut

Welche Faktoren haben also die zunehmende Akzeptanz von Mediation in Deutschland in den letzten 20 Jahren begünstigt? Die technische Entwicklung übt seit zweieinhalb Jahrhunderten einen permanenten Anpassungsdruck auf die Gesellschaft aus. Ihr Kennzeichen ist der Fortschritt. Die Moderne ist der Versuch diesen Fortschritt mit seinen Chancen und Risiken zu gestalten. Dafür braucht es Menschen, die autonom und frei agieren und fähig sind eigene Entscheidungen zu treffen und zu verantworten. Ohne Individualisierung keine Moderne. Die Moderne führte dazu, dass Menschen in allen Bereichen ihres Lebens eigenverantwortlich handeln – sie treffen Entscheidungen darüber, was sie essen, ob und wie viel Sport sie treiben, was und wie sie verantwortlich konsumieren, mit wem und wie sie leben wollen, wie sie sich informieren, wie und welche Informationen sie teilen, was und wie sie arbeiten wollen etc..

Menschen, die gewohnt sind, für sich selbst Entscheidungen zu treffen, die sich privat und beruflich nicht einfach einer Autorität unterwerfen, wollen auch im Konfliktfall eigenverantwortlich handeln, sich dem Problem stellen und die Entscheidung nicht an eine höhere Instanz delegieren. Kommen sie in Positionen mit  Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, dann fordern und fördern sie Eigenverantwortung auch im Konfliktfall. Die Komplexität ihrer Aufgaben und Herausforderungen kommt ihnen dabei entgegen, da sie sich eindimensionalen Lösungen verschließt.

Die moderne Welt ist voller Widersprüche und Spannungen, für die immer wieder ein neuer Ausgleich durch neue Antworten gefunden werden muss. Diese Aufgabe ist nicht abschließend lösbar, sondern verlangt immer neue Verständigungen und Einigungen zwischen allen Beteiligten. Gerade aus den Spannungen und Widersprüchen gewinnt die Moderne das was wir Fortschritt nennen. Dabei geht es nicht um das Gewinnen, sondern um Kooperation.

Mediation ist das zeitgemäße Verfahren für eine komplexe Welt

Mediation, dass weiß jeder, der mit diesem faszinierenden Verfahren arbeiten darf, setzt genau hier an. Die zunehmende Akzeptanz und steigende Nachfrage nach Mediation in Wirtschaft und Gesellschaft hat meines Erachtens genau hier einen ihrer wichtigsten Treiber. Mediation ist gesellschaftlich gelebte soziale Teilhabe. In der Wirtschaft unterstützt sie die aktuellen Ansätze, die das Wissen, die Erfahrungen und das Wollen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Mittelpunkt unternehmerischen Handelns stellt, um Innovationsfähigkeit und Zukunftssicherheit zu schaffen. In einer komplexen, interdependenten Welt sind Entscheidungen immer von Unsicherheit geprägt und brauchen daher die Vielfalt der Perspektiven und das Wissen und die Erfahrungen aller.

Betroffene müssen Beteiligte werden, nur so kann ein Unternehmen sich erfolgreich weiter entwickeln. Und auch in der staatlichen Arena wird Mediation zunehmend nachgefragt. Die globalen Probleme können nur gemeinschaftlich gelöst werden. Dies geht nur, wenn ein Austausch unterschiedlicher Perspektiven, Meinungen und Standpunkte konstruktiv gelingt. Hier leisten Mediatoren, ob für die UNO oder andere Weltorganisationen, ob bei NGO’s oder bei den zahlreichen Multi-Stake-Holder Dialogen wertvolle Arbeit, ohne die Lösungen nicht möglich sind.

Freiräume schaffen ist die beste Förderung für Mediation

Wie also kann ein Staat dieses Verfahren, in dem freie Bürger miteinander eigenverantwortlich Lösungen finden, fördern? So verständlich die Forderung nach Regularien und Fördermitteln auch auf den ersten Blick sein mag. Mediation ist ein Kulturgut, sie braucht die Freiheit sich selbst zu entwickeln. Sie braucht die Eigenverantwortung der Mediatoren, die nur dann glaubwürdig an die Eigenverantwortung der Medianden appellieren können. Staatliche Unterstützung kann somit darin bestehen, dass diese Räume geschaffen und gesichert werden. Das Mediationsgesetz schafft hierfür einen hervorragenden Rahmen. Es setzt auf Eigenverantwortung und gibt uns Mediatoren den notwendigen Freiraum, um die Mediation in alle Bereiche weiter zu entwickeln. Das Bundesjustizministerium fördert daher die Mediation am besten dadurch, indem es den Forderungen nach Regulierung nicht nachgibt.

Mediation braucht Menschen, die teilhaben können und wollen

Wer Mediation fördern will, der sollte in Bildung investieren. Menschen, die gut gebildet sind, unterschiedliche Perspektiven wahrnehmen können und deren Empathiefähigkeit entwickelt ist, werden im Konfliktfall den Dialog suchen und ihre Angelegenheiten gemeinsam selbst regeln wollen. Sie werden nur ungern die Entscheidung an einen Richter oder Chef delegieren. Wir brauchen mehr Projekte, die Mediation bereits in den Schulen und Hochschulen vermitteln und Räume schaffen, in denen diese eingeübt werden kann. Wenn der Staat fördernd eingreifen will, hat er hier ein umfassendes Betätigungsfeld. Wir haben in den 90er Jahren mit den ersten „Konfliktlotsenprojekten“ in Schulen hervorragende Erfahrungen machen dürfen. Solche Projekte müssen bundesweit immer wieder neu initiiert und weiter geführt werden.

Wer Mediation fördern will, der muss soziale Teilhabe fördern. Menschen, die sich von den Herausforderungen einer global vernetzten Welt bedroht fühlen, die das Gefühl haben, nur noch Beobachter oder sogar Opfer zu sein, werden wir auch dadurch wieder integrieren können, indem wir Räume schaffen, in denen Austausch, Teilhabe und Mitbestimmung möglich werden. Doch Teilhabe in einer demokratischen Gesellschaft ist anstrengend. Sie erfordert gebildete Menschen, die sich informieren und eine Streitkultur pflegen können, in der die konstruktive Auseinandersetzung um die beste Lösung das Ziel ist und nicht die Bekämpfung von Gegnern. Schulen, Hochschulen, Ausbildungsstätten und Qualitätsmedien sind wesentliche Elemente für die Entwicklung und Aufrechterhaltung einer kritischen Bürgergesellschaft.  Der Staat steht in der Pflicht, diese Rahmenbedingungen zu schaffen, zu fördern und zu schützen. Dies wird in einer Welt, in der immer mehr Menschen auf Vielfalt, Komplexität und die Folgen einer als ungezügelt wahrgenommenen Globalisierung mit autoritativen Antworten reagieren, entscheidend sein. Wenn wir also über die Förderung der Mediation durch den Staat sprechen, dann sollten wir groß denken und nicht an Mediationsbeihilfen.

 

Partizipation ist zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil geworden

In der Wirtschaft brauchen wir mehr Mediatoren in den Unternehmen. Idealerweise nimmt jede Führungskraft eine Ausbildung in Mediation in Anspruch. Führungskräfte, die eine Mediationsausbildung absolviert haben, berichten regelmäßig, dass sie ihren Aufgaben anschließend sehr viel besser gerecht werden können. Unternehmen, in denen mediative Führungskompetenz etabliert ist, performen nachweislich besser und sichern sich nicht nur ihre Innovationskraft, sondern stärken auch ihre Wettbewerbsfähigkeit.

Die Aufgabe von Wirtschaftsverbänden ist daher, ihre Mitgliedsunternehmen gezielt zu informieren und über das Potential der Mediation aufzuklären. Der Staat selbst kann Mediation ganz praktisch dadurch fördern, dass er in alle Verträge, die die öffentliche Hand mit Unternehmen und Dienstleistern macht, Mediationsklauseln aufnimmt. Der Staat kann Mediation fördern, indem er die Bürgerbeteiligungsverfahren weiter entwickelt und mit professionellen Mediatoren durchführt. Dort wo es geschieht, sind in der überwiegenden Anzahl der Fälle enorme Potentiale gehoben worden und gute Lösungen einvernehmlich gefunden worden. Dass dies auch eine Stärkung der Zivilgesellschaft zur Folge hat, ist nur eine der positiven Folgen. Die Medien können Mediation dadurch fördern, dass Journalisten über Mediationsverfahren berichten und die dort gefundenen Lösungen nicht als „Kompromiss“ diskreditieren. Gerade deutsche Medien können sich hier an ihren anglo-amerikanischen Kolleginnen und Kollegen orientieren, die Mediationen eben auch Mediation nennen und nicht nur einfach Verhandlungen.

Der Streit um die Qualität der Ausbildungen von Mediatoren

Und wie sieht es mit der von den Verbänden geforderten Verbesserung der Qualität und Standardisierung der Ausbildung aus? Der Gesetzgeber legt dies in die Verantwortung jedes einzelnen Mediators und jeder einzelnen Mediatorin. Sie haben selbst dafür zu sorgen, dass sie eine angemessene Ausbildung haben. Dafür hat der Gesetzgeber dann noch eine Ausbildungsverordnung erlassen, welche die Eckpunkte und Inhalte einer angemessenen Ausbildung definiert und Anforderungen an Supervision und Weiterbildung für den „zertifizierten Mediator“ vorschreibt. Misst man das an den Prinzipien der Eigenverantwortung und der Freiwilligkeit, die beide für die Mediation durchaus wesentlich sind, so kann man den Eindruck bekommen, die Menschen im Ministerium haben gut zugehört bei den Expertenanhörungen. Sie haben verstanden, was Mediation ist.

Wieso also jetzt diese Forderungen der Verbände? Was erhoffen sich die Verbände davon, dass sie das unter ihrer Regie regulieren und kontrollieren wollen? Wieso wollen sie den Mediatoren die Verantwortung dafür wegnehmen und sie überwachen?  Trauen sie ihren eigenen Mitgliedern nicht zu, dass sie dies als Mediatoren eigenverantwortlich tun können? Glauben sie wirklich, dass Kontrolle und Regulierung – auch wenn sie privatrechtlich ausgeführt wird – der richtige Weg ist, um dialogische Lösungen zu schaffen?

Um Missverständnisse vorzubeugen. Die Qualität der Mediation ist ein Anliegen, dass jeden umtreibt, der sich hier engagiert. Wie können wir die Qualität der Ausbildung der Mediation fördern, ohne ihre Grundprinzipien zu verletzten und damit die Mediation zu schwächen? Wenn wir die Qualität fördern wollen, dann sollten wir den Kunden die Wahl lassen. Gute Mediatoren werden weiter empfohlen, schlechte nicht. So einfach ist das. Auch wenn man kein glühender Anhänger des sogenannten freien Marktes ist, bei der Begleitung in Konfliktfällen siegt die Qualität über den Preis. Es ist also im eigenen Interesse jedes Mediators und jeder Mediatorin, gut qualifiziert zu sein und sich permanent weiter zu entwickeln. Das würde auch gelten, wenn es eine einheitliche Kontrolle durch eine Zertifizierungsstelle gebe. Es wäre also nichts gewonnen. Nur würden dann noch ganz andere Qualitäten eine Rolle spielen: Wer kann am besten Formulare ausfüllen und vorgegebene Regularien erfüllen. Glauben wir wirklich, dass das Kernkompetenzen von Mediatoren sind? Und wer sollte die Zertifizierung durchführen? Am Ende zertifizieren dann passive Mediatoren, die keine Fälle, kein Einkommen aber Zeit haben, die aktiven Mediatoren. Und die aktiven Mediatoren finanzieren die Zertifizierungsstellen mit ihren Einnahmen. Das wäre dann in der Tat eine absurde Welt.

Mediation in den Mittelpunkt stellen

Ich denke, wir sollten uns entspannen und statt unsere Energie auf die Frage zu verschwenden, wie wir eine landesweite Überprüfung von Ausbildungen und Mediatoren aufbauen können, uns auf die Mediation selbst konzentrieren. Sprechen wir lieber mehr über ihre nachweisbaren Vorteile, fördern wir die Rahmenbedingungen durch Investitionen in Bildung und Bürgerbeteiligungen und erforschen wir gemeinsam, was wir brauchen, um die Mediation inhaltlich noch besser zu machen.

Es gibt also zahlreiche Ansatzpunkte, wie man das Kulturgut Mediation fördern kann. Staatliche Regulierung und Fördermittel gehören aus den angegeben Gründen nicht dazu. Sie sind eher Ausdruck eines etatistischen Verständnisses und schwächen das Verfahren der Mediation. So verständlich der Wunsch nach direkten staatlichen Interventionen auch sein mag. Es ist kurzfristig gedacht und wird das Gegenteil von dem bewirken, was intendiert ist.  Mediation ist ein zivilgesellschaftliches Verfahren, stattliche Interventionen schwächen es daher prinzipiell. Die Anzahl der Mediationsfälle ist daher auch ein Indikator dafür, wie stark eine Zivilgesellschaft in einem Staat bereits ist. Hier zeigt uns der Evaluationsbericht, dass wir noch ein erhebliches Potential haben.

Es liegt an uns, es zu nutzen. Niemand legt uns hier Steine in den Weg. Wir sollten daher auch nicht fordern, dass solche Steine ausgerollt werden.

 

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Mon, 05 Feb 2018 13:27:00 +0100
Aufruf für ein offenes, freies und solidarisches Europa http://www.trhenschel.de/home-blog/lesen/artikel/aufruf-fuer-ein-offenes-freies-und-solidarisches-europa.html Mediatoren beziehen Stellung

Aufruf für ein offenes, freies und solidarisches Europa

Wir Mediatoren arbeiten tagtäglich mit Differenzen und erleben, wie aus vielfältigen Perspektiven und der konstruktiven Auseinandersetzung mit Problemen und Konflikten, wertschöpfende Lösungen geschaffen werden können. Wir können daher nicht hinnehmen, dass in unserer Gesellschaft immer lauter diejenigen werden, die gegen Unterschiede, Vielfalt und Andersartigkeit Stimmung machen. Die offene Gesellschaft braucht nicht nur die Auseinandersetzung mit anderen Meinungen, sie braucht auch die Haltung und den Widerstand derjenigen, die für die Werte der offenen Gesellschaft stehen. 
Daher haben wir, eine Gruppe von Mediatoren aus unterschiedlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen einen Aufruf formuliert, indem wir Position für ein offenes, solidarisches und freies Europa beziehen.

Bitte leiten Sie den Aufruf weiter und zeigen Sie damit, dass die Mitte der Gesellschaft eine Stimme hat, die die Errungenschaften von Freiheit, Solidarität und Gleicher Teilhabe verteidigt. Überlassen wir nicht denjenigen die öffentliche Arena, die glauben, dass man sich in einer globalisierten und Interdependenten Welt einigeln und abgrenzen kann. Stehen wir gemeinsam auf für Humanismus und dafür, dass Entscheidungen durch Diskussionen und nicht durch Lautstärke und Macht getroffen werden müssen.

Aufruf für ein offenes, freies und solidarisches Europa

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Thu, 17 Mar 2016 19:41:00 +0100
Griechenland-Krise:Verhandlungsstrategien der EU Länder http://www.trhenschel.de/home-blog/lesen/artikel/griechenland-kriseverhandlungsstrategien-der-eu-laender.html rbb Tagesthemen Gespräch mit Dr. Thomas R. Henschel

Komplexität überfordert die Verhandlungspartner Wieso die EU Partner sich so schwer mit der Krise tun

Dr. Thomas R. Henschel
Dr. Thomas R. Henschel

Die EURO Gruppe ist zu einer Einigung gekommen. Diese Nachricht bestimmt den Wochenauftakt. Je nach Vorbefaßtheit reagieren die Menschen in Europa mit Erleichterung oder Verärgerung über den Ausgang der Verhandlungen der Eurogruppe in Brüssel.

Am Ende hat es keine Gewinner gegeben - es sei denn man sieht Europa als Gewinner an. Die Europäische Einigung ist immer nur durch Krisen vorangekommen und auch diesmal scheint es im Moment so, als ob Europa am Ende doch noch einmal gemeinschaftlich handlungsfähig geworden ist.

Aber wieso tun sich die Politiker in Europa so schwer damit, Lösungen zu schaffen, mit der alle Beteiligten leben können. Eine Erklärung findet sich im dem was wir den Unterschied zwischen linearen System und komplexen Systemen nennen. In linearen System verhalten sich Ursache und Wirkung proportional zueinander. Hier geht es um richtig und falsch, oder in der Sprache von Bürokraten und vielen Politikern um anordnen und kontrolliere. Dieser Logik folgten auch die Verhandlungsstrategien der Repräsentanten Europas in Brüssel in den letzen Jahren, Monaten, Wochen und Tagen. Politische System sind jedoch komplexe Systeme mit einer Vielzahl von Rückkoppelungen und sogenannten Unschärfen, also Bereichen, die sich nicht einer einfachen linearen Kausalität unterwerfen, sondern zu spontanen, nicht vorhersehbaren Folgen führen. Dachte man früher noch, das man derartige Friktionen in den Griff bekommen würde, wenn man nur alle Fakten kennen würde, so wissen wir heute, dass wir mit dieser Unsicherheit leben müssen. Die Systemtheorie stellt hierzu bereits eine Vielzahl von Erkenntnissen zur Verfügung, wie wir komplexe Systeme, die wir selbst geschaffen haben, beeinflussen können. Das Wetter, die Börse oder auch die EU sind derartige komplexe Systeme, die sich nicht voraussagen lassen. Um sie zu beeinflussen, müssen wir ihre Selbstorganisation verstehen und für den politischen Bereich bedeutet das, einen entscheidenden Schritt von "anordnen und kontrollieren" zu "verstehen und annehmen". 

Während in der Wirtschaft bereits vielfältige Beispiele für sich selbstorganisierende Einheiten und ganze Unternehmen existieren, beruht der politisch-staatliche Bereich immer noch auf dem Denken des 19. Jahrhunderts und glaubt nach wie vor fest daran, dass sich Politik machen und steuern lässt. Konstituierend für die Politik ist nach wie vor die Maschinenmetapher, während ein systemtheoretischer Ansatz eher von einem lebenden Organismus sprechen würde.

Die derzeitige Krise der EU zeigt daher für mich, dass Europa an einem Punkt angelangt ist, an dem unsere politische Kultur den nächsten Schritt hin zu einer systematischen Sichtweise gehen muss, um zukünftig wieder das Heft des Handelns in der Hand haben zu können. 

Im rbb-Tagesthemen war Dr. Thomas R. Henschel als Experte für Verhandlungsstrategien gefragt. Das ganze Gespräch (30') können Sie auf rbb-Kulturradio selbst anhören.

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Mon, 13 Jul 2015 14:59:00 +0200